8. Juli 2020

Die Stadtplanung nach Corona

Next Summit wagt Blick in die Zukunft

v.l.: Dr.-Ing. Jan Wurm, Markus Rink, Martin Prösler, Dr. Christine Lemaitre sowie Dr. Thomas Welter. Foto: Wicona / Mediashots

Welchen langfristigen Einfluss könnte die Corona-Krise auf die Stadtplanung und die Gebäude der Zukunft haben? Über bereits aktuell erkennbare Trends sowie Szenarien für die Arbeits- und Wohntrends von morgen diskutierten der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx, der live aus seinem „Future Evolution Haus“ in Wien zugeschaltet wurde, und eine Expertenrunde am 2. Juli 2020 beim Next Summit im Next Studio in Frankfurt. Das Event wurde als Livestream übertragen.

Horx sieht Corona als eine Art „Zeitenwende“. Die Schockerfahrungen der Krise eröffnen jedoch Räume für neues Denken, stoßen den Wertewandel in der Gesellschaft an und zwingen zu einer Neubetrachtung. So würden Entwicklungen, die vorher schon da waren, noch mehr beschleunigt – auch in der Stadtplanung und der Architektur. Grundsätzlich sieht Horx vier Megatrends: Die „Glocalisierung“ bedeute das Scheitern der nicht nachhaltigen globalen Produktion und der „Werkbank Fernost“. Die Produktion werde teils wieder zurückgeholt, die Wertschöpfungsketten würden wieder tiefer und lokaler. In puncto „Digitalisierung“ stellt der Experte fest: „Je mehr man ins Digitale geht, desto mehr fehlt die menschliche Kommunikation.“

Daher werde die Künstliche Intelligenz (KI) humanes Denken niemals ganz ersetzen. Auch die „Rurbanisierung“ werde ein gewichtiger Megatrend und bilde den Gegenpol zur Urbanisierung. Dabei werden immer offenere Stadtarchitekturen mit dezentralen Quartieren die verdichteten Innenstädte ersetzen und ein neues urbanes Leben entstehen lassen. Der vierte Punkt: Die „blaue Ökologie“. Diese verknüpft das Digitale und Ökologische mit intelligenten Technologien und menschlichen Bedürfnissen. Dazu gehören Konzepte wie die lebendige Stadt sowie neue Wohn- und Lebensformen wie Co-Housing, Co-Living oder auch das Co-Working. Horx dazu: „Reine Büroflächen werden geringer, eine neue Büroarchitektur kommt. Arbeit wird völlig neu gesehen und erlebt – es wird keine Rückkehr in die alte Rennerei mehr geben.“

Das „neue Arbeiten“

Gerade um das „neue Arbeiten“ und das Bürogebäude der Zukunft entwickelte sich eine interessante Diskussion. Dr.-Ing. Jan Wurm (Director Foresight + Research + Innovation Arup) stellte die Wichtigkeit des Büros als Ort der Gemeinschaft und der persönlichen Interaktion heraus, sieht aber auch den in der Corona-Zeit verstärkten Trend zum Homeoffice. Dr. Thomas Welter (Bundesgeschäftsführer BDA) unterstrich die Funktion des Büros, Privat- und Berufsleben voneinander abzugrenzen. Bei der Gestaltung der Büroflächen müsse vor allem Komfort und Attraktivität im Fokus stehen, diese förderten Kreativität und Motivation. Auch für Dr. Christine Lemaitre (Geschäftsführerin DGNB) stellt der persönliche Dialog ein wichtiges Plus des Büros dar. Nur hier sei für viele – das zeigten ihre eigenen Homeoffice-Erfahrungen mit den Kindern während des „Lockdowns“ – konzentriertes Arbeiten möglich. Markus Rink (Geschäftsführer omniCon Gesellschaft für innovatives Bauen) ergänzte: „Büros entwickeln sich immer mehr zu Bereichen mit hoher Aufenthaltsqualität. Das war aber auch schon vor Corona so und wird sich eventuell jetzt noch beschleunigen.“

Umnutzung statt Neubau

In puncto Stadtplanung der Zukunft waren sich die Experten einig: der Fokus sollte sich nicht ausschließlich auf den Neubau, sondern mehr auf den Gebäudebestand richten. Lemaitre: „Unsere Städte sind gebaut, wir müssen Bestandsgebäude intelligent modernisieren, umnutzen und die Identifikation der Menschen mit ihrem Quartier und ihrer Stadt erhöhen.“ Welter knüpft an: „Wir brauchen eine kluge Verdichtung, die adäquat ist, müssen die Umnutzung leerstehender Gebäude vorantreiben und halb öffentliche Räume zum Ausruhen schaffen.“ Grundsätzlich gelte es aber auch, die Trends der Vor-Corona-Zeit positiv weiter voranzutreiben. Dazu gehörten insbesondere ressourcensparendes Bauen und Nachhaltigkeit. Um all dies zu erreichen, sei vor allem auch die Kommunal-Politik vor Ort ein wichtiger Faktor.

„Beim Klimawandel stehen Lobbyisten im Weg“

Zum Ende fragte Moderator Martin Prösler (Geschäftsführer Prösler Kommunikation) provokativ: „Ist die zentrale Corona-Botschaft ‚Flatten the Curve‘ auch auf die Bestrebungen zur Verlangsamung des Klimawandels anwendbar? Lemaitre bezweifelt dies: „Der Klimawandel ist zu abstrakt. Gegen die Corona-Maßnahmen gab es keine Lobby. Beim Klimawandel stehen Lobbyisten im Weg.“ Ähnlich sieht das Rink: „Nur eine unmittelbare persönliche Betroffenheit bringt eine Verhaltensänderung. Der Klimawandel ist noch zu weit weg.“ Horx ist sich jedoch sicher: „Das Thema Klimawandel wird wieder enorm Fahrt aufnehmen. Viele Unternehmen bekennen sich jetzt aktiv zur Nachhaltigkeit, nicht nur aus Marketing-Gründen (Green-Washing)“. Dies bekräftigt auch Wurm: „Wir sehen einen starken Wunsch der Kunden, bessere und nachhaltigere Gebäude zu bauen.“

Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist unter diesem Link zu sehen.

 

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